Rückblick vom 21.9.2016
Am heutigen Morgen brechen wir noch früher auf: 5 Uhr geht der Wecker, 5.30 Uhr sind wir „on the road“. Es ist noch dunkel, die Straße ist feucht, denn es hat nachts wieder geregnet. Die Kinder werden gar nicht richtig wach, Mio lassen wir einfach im Alkoven schlafen, Silas und Juli legen sich hinten auf die umgebaute Sitzecke. Jochen und ich brausen dem Morgen entgegen. Erstaunlich, dass schon Menschen unterwegs sind – im Dunkeln und teilweise mit Eselskarren oder mit Heuballen auf dem Kopf. Wo die wohl hingehen?

Wir jedenfalls wollen bei Einbruch der Dämmerung durch Bahir Dar, das ist eine große Studentenstadt am Lake Tana, aber momentan eine der Zentren der Protestdemonstrationen gegen die äthiopische Regierung. Hier war in den letzten Tagen und Wochen ziemlich viel „trouble“, roadblocks, etc. und deshalb wollen wir möglichst am frühen Morgen hindurch – wenn alle noch nicht so recht wach sind. Wir haben etwas Bauchgrimmen, aber unnötigerweise, wie sich im Nachhinein herausstellt. Wir sehen nur wenig Menschen auf der Straße und alle scheinen ihren alltäglichen Beschäftigungen nachzugehen. Also kein Problem zum Glück. Wir sind etwas traurig, dass wir diese Stadt nicht anschauen können, denn sie macht einen wunderschönen Eindruck. Und doch sind wir froh, als wir sie hinter uns haben!

Während der Weiterfahrt sehen wir ab und zu Männer mit langen Stöcken oder sogar Gewehren, die sich zusammenrotten. Die ganze Gegend hier ist im Moment nicht so ganz ohne, wobei die Demonstrationen eigentlich nichts mit Touristen zu tun haben. Es ist mehr ein Kampf zwischen Regierung und Opposition. Trotzdem wollen wir lieber so schnell wie möglich hier durch und raus aus dem Land.

Die Landschaft, durch die wir reisen – eigentlich schon seit der Grenze Kenias, aber besonders heute – gleicht einem Garten Eden: Es ist grün, überall auf den Feldern steht der Tef (äthiopischer Weizen) oder der Mais hoch, es gibt Bäume, saftige Wiesen, Hügel, Berge, Wasser, Flüsse, fruchtbare Erde, … einfach alles. Es scheint an nichts zu fehlen. Und trotzdem laufen am Straßenrand Menschen barfuß und in Lumpen gehüllt. Die Hütten sind ärmlich. Es fehlt am Nötigsten. Warum ist das so?? Wir können es uns nicht erklären. So ein fruchtbares, grünes Land! Wie kann das sein?
Und es gibt viele bettelnde Kinder, manchmal auch Erwachsene. Was denken sie sich – glauben sie, dass wir anhalten und ihnen Geld oder Essen geben? Wer tut das denn? Und was lernen sie daraus? Dass es mehr Geld bringt, an der Straße zu stehen und Touristen anzubetteln als zur Schule zu gehen, einen Beruf zu lernen und selber Geld zu verdienen?
Was hat die ganze Entwicklungshilfe in den letzten 30 Jahren hier gebracht? Die Menschen sind weiterhin arm und – statt dass sie sich selbst motivieren – haben sie gelernt, dass ihnen schon immer jemand hilft, sobald es ihnen schlecht geht.
Wir sprechen über dieses Thema auch mit Kim, die Managerin des Campingplatzes am Lake Tana, an dem wir bereits morgens um 11 Uhr nach 5 Stunden Fahrt ankommen. Sie ist schon seit neun Jahren hier, mit einem Äthiopier verheiratet und beschäftigt eine Menge Einheimische auf ihrem Campingplatz bzw. in diversen (Agrar-) Projekten. Sie erklärt uns, dass sie es nach dieser langen Zeit aufgegeben hat, die Äthiopier zu verstehen. Sie hat keine Chance zu verstehen, was in ihren Köpfen vorgeht. Eine mögliche Erklärung von ihr für die Armut im Land ist, dass viele – natürlich nicht alle – Äthiopier „faul“ sind. Sie warten darauf, dass sie einfach irgendwie einmal reich werden und kommen nicht auf die Idee, dass viel, viel Arbeit dahintersteckt.
Erschreckend finden wir, wie sie erzählt, dass – als aufgrund der Demonstrationen in den letzten Wochen das Militär hier in der Nähe abwesend war – die einheimischen Farmer auf ihr Land gekommen sind und es quasi „besetzt“ haben: Sie haben ca. 1000 Kühe darauf weiden lassen bis diese so ziemlich alles kaputt gemacht haben (inklusive Bewässerungssystem für die Pflanzen), denn sie seien der Meinung, dass sie als „Ausländerin“ nur hier ist, um reich zu werden und dass das Land ja eigentlich ihnen gehört. Sie glauben, dass die kleinen Ferienhäuser hier auf dem Campingplatz mit Geld gefüllt sind. Und das nach neun Jahren, in denen sie mit den Menschen hier vor Ort zusammengearbeitet hat!

Wir sind jedenfalls heilfroh, dass wir schon kurz vor dem Mittag auf diesem Stückchen Paradies ankommen. Der Campingplatz liegt oberhalb des Lake Tana mit einer schönen Aussicht – aber vor allem: er ist ruhig!! Wir können entspannen, ohne dass sich eine Traube Menschen um uns bildet. Einsamkeit genießen! Wir können sogar schwimmen – und das ganz für uns allein! Wir genießen die Ruhe und die Bewegung an diesem Nachmittag sehr! Und wir freuen uns nun auf den Sudan, den wir morgen erreichen wollen. Hier wird es zwar heiß und trocken, aber die Menschen sollen sehr, sehr freundlich sein und Wildcampen soll überhaupt kein Problem darstellen, da man eigentlich überall ein schönes ruhiges Fleckchen finden soll. Morgen früh werden wir gemeinsam mit Robert und Claire (die wir von Nairobi und Addis kennen und nun hier wieder getroffen haben) die Grenze überqueren.

Den Abend verbringen wir mit einigen sehr interessanten Menschen bei einem leckeren Fisch aus dem See im Restaurant des Campingplatzes. Zwei Spanier (Brüder) reisen durch Äthiopien, einer von beiden ist Buchautor und berichtet von den Menschen in Afrika, z.B. während der Ebola-Krise, auch aus dem Südsudan oder während des Begräbnisses von Nelson Mandela. Hier treffen wir auch einen Motorradfahrer aus England wieder, den wir im Süden Tansanias zum ersten Mal gesehen haben. Es wird ein sehr netter Abend, an dem sich auch die Kinder sehr rege am Gespräch beteiligen.