Wir wollen jeder noch einmal zurückschauen – jeder für sich – und eine Art Resumee schreiben. Das ist gar nicht so einfach … Wir haben in den vier Wochen seit wir wieder zuhause sind schon vieles erzählt, Freunden, Verwandten, Bilder gezeigt, etc. Manche haben es über sich ergehen lassen, andere haben gute und interessierte Fragen gestellt. Eine der besten Fragen war „ob ich etwas anders machen würde, wenn ich mit dem jetzigen Wissen das Jahr Familienzeit angehen würde“. Und meine Antwort lautet – auch nach längerem Nachdenken – nein, ich würde es genauso wieder machen!!

Aber zunächst möchte ich meinen Rückblick mit einer Geschichte beginnen, die ich vor zwei Tagen im „anderen Advent“ (Kalender) gefunden habe:

„Ein Dromedar

Warum Herr Hopp am frühen Morgen ein Dromedar spazieren führt? Warum nicht? Wer hätte nicht mal Lust darauf? Aber die meisten Menschen sterben, liegen da und denken: Nicht ein einziges Dromedar hab ich in meinem Leben ausgeführt. Das hätte mir auch mal früher einfallen können. Aber dann ist es zu spät. Vielleicht sagen sie aber auch: Ich bin zu wenig Riesenrad gefahren, zu selten durch Laubhaufen gelaufen. Herr Hopp lebt jedenfalls für solche Menschen und er lebt nicht schlecht. Denn immerhin gibt es nicht wenige, denen es nicht reicht, abwechselnd zur Arbeit, ins Bett, zur Bank und in Ferien zu gehen, und wenn sie damit durch sind, fangen sie von vorne wieder an. Nein, solche Leute haben vielleicht plötzlich Lust auf den Anblick eines Dromedars, das knien, oder auf einen Schimpansen, der Karten spielen kann, oder auf eine Dressurreiterin, die im rosa Röckchen auf dem Rücken des Pferdes steht und mit vollen Händen Küsse in die Menge wirft, und das mit einem Lächeln, schön wie eine Fensterscheibe voll Eisblumen. Ja, wenn dies alles eine Pizza wäre, man könnte es sich kommen lassen. Aber ein Dromedar?“

Roger Willemsen

Ja, wenn es eine Pizza wäre, die einem ins Haus geliefert wird, dann würde man … Wir haben uns die Pizza nicht anliefern lassen, sondern selbst gebacken: Unser Dromedar war die Familienzeit in Afrika. Wir haben ein absolut eindrucksvolles Jahr hinter uns – je länger wir hier sind, umso „besonderer“ wird es im Rückblick und in unseren Gedanken. Wir waren da, wir haben so viel mit eigenen Augen gesehen, wir haben in Afrika gelebt, wir als Familie. Wir haben es gewagt, das heimische Sofa zu verlassen, über unseren Tellerrand zu schauen und uns auf fremde Länder und Kulturen eingelassen. Wir haben viele Grenzen überschritten – und das nicht nur während der Reise, sondern auch schon vorher.
Für einige Menschen ist es unvorstellbar, eine solche Reise auf sich zu nehmen: das Leben auf engstem Raum mit der Familie über eine so lange Zeit hinweg, die Verantwortung für die Schulbildung der Kinder, das Unplanbare, die (auch gesundheitlichen) Risiken, das einfache Leben im Wohnmobil, etc. Wir haben es genossen. Gerade auch das Einfache. Und wir haben gelernt, dass es für jede Lage immer eine Lösung gibt. Für jeden Weg auch eine Alternative. Festfahren gibt es nicht, denn immer tut sich rechts oder links ein neuer Weg auf, man muss ihn nur sehen. Und das nicht nur in Afrika.

Viele Menschen fragen natürlich nach dem persönlichen Highlight der Reise. Wenn man diese Frage auf die Erlebnisse in diesem Jahr bezieht, gab es für mich mehrere Highlights: Die Natur und die Einsamkeit in Namibia (Januar/Februar), Klettern in Südafrika (März/April), gemeinsames Leben und Arbeiten auf dem Backpacker Fatpony in Kapstadt (März), das wilde Campen in unberührter Natur im Herzen Botswanas (Juni), Kennenlernen der malawischen Kultur im Kumbali-Projekt in Lilongwe (Juli), Besuch bei den Massai in Tansania (August), Besuch der Massai Mara in Kenia (Ende August), das grüne Hochland Äthiopiens (September) und die weite heiße Wüste des Sudan (September).

Bezieht man diese Frage auf weniger Offensichtliches, so war mein Highlight die „Familienzeit“: Diese intensive Zeit als Familie, in der wir gemeinsam für Visa gekämpft, unter der Hitze gelitten und über Schotterstraßen geholpert sind. Eine Zeit, in der wir nachts im Okavango Delta die Löwen brüllen hörten, die Hyäne um den Onkel schlich und der Elefant beinah seinen Rüssel zum Fenster reinstreckte. Ein Jahr mit Zeit für intensive Gespräche, für Diskussionen über die eigenen Werte und das Kennenlernen von anderen Lebensentwürfen. Zeit zu reflektieren und das eigene Leben zu überdenken.

Besonders beeindruckt hat mich die Hilfsbereitschaft der Afrikaner. Egal, wo wir waren und was passiert war, es fand sich immer jemand mit einem „Hakuna matata“ (kein Problem) auf den Lippen, der uns irgendwie weiterhalf. Aber auch die Fröhlichkeit der Menschen in diesem Kontinent ist etwas ganz Besonderes.  Selten habe ich so viele Menschen gesehen, die ein so strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht zaubern können, das von innen kommt! Weiße Zähne auf schwarzem Grund und Daumen hoch – so werden mir die Afrikaner in Erinnerung bleiben. Und das trotz der bitteren Armut, in der viele leben.

Was hat die Familienzeit aus uns als Ehepaar gemacht?
Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Wir haben ein Jahr lang 24h am Tag zusammen verbracht. Wir sind ein gutes Team, sind weiter zusammengewachsen und vertrauen einander zu 100 Prozent.
Und trotzdem gab es nur wenige wirkliche Momente der Zweisamkeit. Das liegt in erster Linie daran, dass wir als Familie reisen, d.h. die Kinder sind immer dabei. Immer. Und ihr Wohlergehen steht an erster Stelle. Sie müssen Schule machen und unterhalten werden. Dann kommt die Organisation der Reise, das Fahren, das Kennenlernen anderer Menschen, etc. Da bleibt weder viel Zeit für einen selbst noch als Paar. Zeiten der Zweisamkeit könnten wir also durchaus noch gebrauchen. Aber dann ganz sicher ohne Kinder …

Viele unserer Erwartungen, die wir vor der Reise zusammengetragen haben, haben sich erfüllt: Das Kennenlernen anderer Kulturen und Lebensweisen, das Abenteuer Afrika, die intensive Familienzeit und nicht zuletzt auch die Verbesserung der Sprachkenntnisse der Kinder.
Nicht erfüllte Erwartungen gab es aber durchaus auch: Wir hatten uns mehr Einsamkeit vorgestellt, mehr Natur und mehr Möglichkeiten, etwas aktiv zu tun. Stattdessen sind große Teile Ostafrikas so dicht bevölkert, dass man nirgendwo allein ist – oder dass man teuren Eintritt für schöne Natur zahlen muss (Nationalparks). Auch hatten wir uns vorgestellt, dass wir noch mehr Zeit „übrig“ haben würden, die wir dann investieren könnten, um etwas Neues zu lernen (zum Beispiel ein Instrument, malen, surfen, etc.). Wenn wir das wirklich gewollt hätten, so hätten wir diese Zeit aktiv planen müssen, das war es uns aber dann nicht wert (weder zeitlich noch finanziell).

Ja, und zum Schluss die Frage: Was bleibt? Was möchte ich in meinem Leben anders machen als vor der Reise? Wir sind diese Reise nicht angetreten, um vor unserem Alltag zuhause zu fliehen. Wir wollten „nur“ eine Auszeit. Eine Familienzeit. Ein Blick über den Tellerrand. Und das haben wir bekommen. Sehr intensiv. Sehr beeindruckend. So, dass man unbedingt etwas zurückgeben möchte. Wem? Afrika, den Menschen, der Gesellschaft… Wir wurden als Fremde im Land immer freundlich aufgenommen, wir wurden angesprochen, wenn wir hilflos herumstanden und als Gäste willkommen geheißen. Das hat mich sehr beeindruckt. Und das würde ich gern in mein Leben übertragen: aufmerksamer durch meine Heimat laufen, Menschen wahrnehmen, die Hilfe brauchen. Hilfe anbieten.
Dazu gehört für mich auch die Stimme zu erheben, wenn unsere Wohlstandsgesellschaft eine Fremdenfeindlichkeit gegenüber den Flüchtlingen aus aller Welt an den Tag legt. Wir dürfen nicht ruhig zuschauen, dass sich bei uns hier Angst, Hass und Fremdenfeindlichkeit durchsetzen. Und uns dann in zehn Jahren anhören, warum wir damals nichts getan haben. Daran ändern auch die jüngsten Ereignisse in Berlin nichts, so furchtbar und schrecklich sie sind. Und damit ist keine „Gutmenschelei“ gemeint, sondern ich glaube, was wir in erster Linie brauchen sind Menschlichkeit und gesunder Menschenverstand. Wenn wir eins gelernt haben im letzten Jahr, so ist es, dass nie alles gut, aber auch nie alles schlecht ist.

Auch von der Gelassenheit, die die Afrikaner an den Tag legen, können wir uns eine Scheibe abschneiden. Das Nicht-Perfekte akzeptieren und vielleicht sogar lieben lernen. Mit Provisorien leben. Das geht tatsächlich.
Bewundernswert fand ich auch die Großzügigkeit der Menschen. Auch wenn sie nicht viel haben, wird das Wenige geteilt. Wir haben viel und teilen trotzdem nicht. Warum eigentlich?
Zu guter Letzt würde ich mir gern die Spontaneität erhalten, die wir während der Reise leben konnten. Das ist vielleicht eines der am schwersten zu erreichenden Ziele, denn ohne Terminpläne lässt sich scheinbar schwer auskommen. Aber wer weiß? Ein Versuch ist es wert ….