Seit Sonntag sind wir hier, ca. 12 km nordöstlich von Lilongwe, der Hauptstadt Malawis. Wir haben unser Camp im Cultural Village der Kumbali Lodge aufgeschlagen und das muss man sich so vorstellen: Die eigentliche Lodge ist sehr nobel und sehr teuer. Sie ist umgeben von grünen Wiesen, hohen alten Bäumen, sie hat ein Restaurant, eine Bar und einen schönen Pool mit Liegestühlen. Bei unserem ersten Anblick am Samstagabend waren wir schon sehr beeindruckt. Ganz zu schweigen davon, dass heute Madonna mit ihrem Gefolge hier eingetroffen ist und die gesamte Lodge für diese Woche gemietet hat.


Ca. einen Kilometer entfernt von der Lodge gibt es das „Cultural Village“: mitten in einem lichten Wald (der jetzt Anfang Juli schon ziemlich braun und trocken ist) stehen etwa 15 traditionelle Lehmhütten. Dahinter gibt es jeweils eine WC-Hütte mit Plumpsklo und eine Outdoor-Dusche mit Sichtschutz aus Bastmatten, aus der sogar heißes Wasser fließt, wenn man vorher ein Feuer gemacht hat. Das Ziel des Cultural Village ist es, für Touristen, Schulklassen und andere Gruppen das traditionelle Leben in einem typischen ländlichen Dorf nachzuempfinden. Außerdem gibt es auch hier ein Restaurant und eine Bar, wo sich normalerweise alle Gäste des Cultural Village zu den Mahlzeiten einfinden – nur dass im Moment keine Gäste außer uns da sind und wir eine Sondererlaubnis zum Selberkochen haben – sonst könnten wir es uns gar nicht leisten, hier in diesem Dorf zu wohnen. Denn auch im Cultural Village ist der Normaltarif mit 10 US-Dollar pro Kopf und Nacht für Camping kein Schnäppchen bei fünf Personen.

Beide Einrichtungen sowie eine Yoghurtfabrik, ein Reitstall und mehr gehören zur großen Kumbali-Farm der Familie Pickering (natürlich Weiße …). Und auf ihrem Gelände steht auch der Kumbali-Kindergarten und um den geht es uns eigentlich.
Und jetzt muss ich noch einmal etwas weiter ausholen: Dieser Kindergarten ist nämlich entstanden aufgrund der Initiative der Familie Wagner aus Waiblingen-Beinstein. Das Ehepaar Wagner lebte vor einigen Jahren aus beruflichen Gründen in Lilongwe und Grit Wagner arbeitete öfters im ortsansässigen Kindergarten mit. Als sie im nächsten Jahr wiederkamen, war der Kindergarten geschlossen. Daraufhin suchte und fand Grit eine Lösung: auf dem Grundstück der Pickerings konnte der Kindergarten im ehemaligen Gebäude der Stallungen nach einigen Renovierungsarbeiten wiedereröffnet werden. Grit gründete den Kumbali-Verein in Deutschland und unterstützt seitdem das Projekt finanziell mit den Spenden für den Verein sowie ideell, indem sie mindestens einmal pro Jahr selbst mit Hand anlegt. Man merkt, dass ihr das Projekt sehr ans Herz gewachsen ist … Wir haben Grit vor unserer Abreise in Deutschland getroffen und mit ihr vereinbart, dass wir uns auch engagieren wollen. Und nun sind wir hier!
Weitere Informationen zum Projekt findet ihr hier.

Gestern und heute besuchen wir den Kindergarten mit seinen rund 60 Kindern im Alter zwischen 3 und 6 Jahren. Der Kindergarten wird geleitet von Esther und Haiwa, den beiden netten Erzieherinnen, und gemanagt von Saili, einem sehr sympathischen und vertrauenswürdigen Mitarbeiter des Cultural Village. Außerdem sind auch immer noch mindestens vier Mütter mit vor Ort, die bei der Arbeit mit den Kindern helfen, die Maismahlzeit kochen, den Hof fegen, etc.
Die Kinder sind zwei Altersgruppen unterteilt: Die „Kleinen“ (3-4 Jahre) und die „Großen“ (5-6 Jahre). Der Morgen beginnt um 8.30 Uhr mit der ersten Unterrichtsstunde: Esther unterrichtet „Mathe“ und „Religion“, Haiwa unterweist die Kinder in „English“, „Chichewa“ und „Lesen/Schreiben“. Es ist sehr erstaunlich für uns, wie „schulisch“ es hier bereits im Kindergarten abläuft: Selbst die Kleinsten im Alter von drei Jahren lernen schon die ersten Zahlen und Buchstaben lesen und schreiben. Der Unterricht findet im Klassenzimmer (einem ehemaligen Stall) und auf Chichewa (Sprache hier in der Gegend von Lilongwe) statt. Die Kinder sitzen gedrängt an einfachen Holztischen auf kleinen Stühlen. Die meisten tragen die „Kindergartenuniform“ – auch eine Spende des Kumbali-Vereins. Wenn die Lehrerin etwas fragt, antworten die Kinder aus vollem Hals im Chor. Genau in dieser abartigen Lautstärke singen und beten die Kinder auch …. Das ist zwar für unsere Ohren gewöhnungsbedürftig, aber man merkt, wie inbrünstig die Kleinen bei der Sache sind …
Nach ca. einer Stunde Unterricht gehen die Lehrerinnen mit ihren Kindern in den Hof und es wird gesungen, getanzt, Kreisspiele gespielt, etc. Es geht sehr lustig zu.
Danach ist Pause. Die Eltern haben in der Zwischenzeit einen Brei aus Mais, einer Art Nuss (wenn ich das richtig verstanden habe), Wasser, Salz und Zucker über dem offenen Feuer gekocht. Jedes Kind erhält seine Mahlzeit auf einem Plastikteller. Es wird am Boden sitzend gegessen.
Nach der Pause beginnt die zweite Unterrichtsstunde und die Lehrerinnen tauschen die Klassen. Wieder findet der Unterricht im „Klassenzimmer“ statt. Ab und zu gibt es auch Sportunterricht. Dafür gibt es unterhalb des ehemaligen Stalles einen kleinen Sportplatz. Um 12 Uhr ist der Kindergarten zu Ende und die Kinder gehen nach Hause bzw. werden abgeholt.

Wir selbst wollen uns so gut es uns in dieser kurzen Zeit möglich ist in das Projekt miteinbringen. Deshalb haben wir auch beschlossen, diese Woche keinen eigenen Schulunterricht zu machen: Silas, Juli und Mio – wir alle – lernen genug, wenn wir hier mitarbeiten.
Und wir können doch einiges beitragen, auch wenn es uns wie ein Tropfen auf den heißen Stein vorkommt: Seit heute hat der Kindergarten, der bisher über keinerlei Spielgeräte im Pausenhof verfügte, zwei neue Reifenschaukeln, die Silas und Juli installiert haben. Jochen ist eifrig dabei, das dünne löchrige Wellblechdach zu flicken (was nicht ganz einfach ist, weil es so dünn ist, dass er am Anfang gleich einmal eingebrochen ist) und zerbrochene Fensterscheiben zu ersetzen. Außerdem versuchen wir, neue Impulse für den Unterricht zu vermitteln, neue Lieder mit den Kindern zu lernen und einfach Spaß mit ihnen zu haben. Heute Nachmittag besuchen uns die beiden Lehrerinnen: Wir sitzen bei Kaffee und Kuchen zusammen und tauschen pädagogische Tipps aus. Dabei erfahre ich auch, warum Esther und Haiwa schon im Kindergarten versuchen, den Kleinen Buchstaben und Zahlen beizubringen: Sie tun es in Wirklichkeit für die Eltern, denn diese erkennen nur dann einen Sinn darin, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken, wenn dieser den Kleinen etwas „Wertvolles“ beibringt. Das, was wir als wichtige Vorarbeit für die Schule betrachten – wie Training der Feinmotorik, der verschiedenen Sinne, der Rechts-Links-Orientierung, etc. – wird hier von den Eltern aus Unwissenheit noch nicht als wesentlicher Bestandteil zur Intelligenzentwicklung erkannt.

Wir sind erstaunt, wie viel gute Arbeit mit wenigen Mitteln hier geleistet wird: Die beiden Lehrerinnen sind mit großem Engagement bei der Sache, es gibt diesen sicheren Ort für die Kinder, sie bekommen hier eine warme und nahrhafte Mahlzeit und sie erhalten eine gute Vorbereitung für die Schule. Andererseits sind wir entsetzt darüber, wie wenig Geld die Lehrerinnen für ihre Arbeit erhalten und dass sie es auch nur deshalb bekommen, weil der Kumbali-Verein monatlich Geld zuschießt. Die Kindergartengebühren betragen nämlich 0,80 Euro – nein, nicht pro Tag, sondern pro Monat und das inklusive der täglichen Mahlzeit! Und selbst das können sich nur zwei Drittel der Familien leisten.
Wir sind erschüttert über die zwei unendlich weit voneinander entfernten Welten, auf die wir hier treffen: auf der einen Seite die Welt der Reichen (meist Weißen), die locker genauso viel Geld für eine Übernachtung in einer Hütte im Cultural Village ausgibt wie eine der beiden Erzieherinnen im Monat verdient! Wenn wir unseren Luxus im Onkel Deutz betrachten mit unserem abwechslungsreichen nahrhaften Essen, für das wir beim wöchentlichen Einkauf im Supermarkt mindestens 100 Euro liegen lassen und dann sehen, dass die Lehrerin zwei einfache im Feuer gekochte Süßkartoffeln täglich ihr Mittagessen nennt, dann weiß man nicht, wie man reagieren soll: muss man sich schämen nicht mehr zu geben? Darf man den eigenen Luxus überhaupt genießen? Und: was bringt unsere Hilfe überhaupt, solange sich an diesem ganzen System hier nichts ändert? Wie kann es sein, dass ein Großteil der Bevölkerung so arm ist, dass er um sein tägliches Essen bangen muss, während ein paar Reiche im Land das ganze Geld abschöpfen? Und dabei gibt es in Malawi (und auf dem ganzen afrikanischen Kontinent) eine unheimliche Anhäufung von Hilfsorganisationen, Projekten, privaten Vereinen, etc., die alle auf die ein oder andere Weise versuchen zu helfen – und die Situation im besten Fall nicht schlimmer machen.
Wir sind als Familie hier, wir wollen verstehen und wir wollen auch „helfen“. Aber wir sehen es als eine Hilfe auf Augenhöhe, als ein gegenseitiges Geben und Nehmen: denn auch wir nehmen etwas von den Menschen hier mit und das ist nicht wenig – zum Beispiel die unbändige Fröhlichkeit und Freude, mit der sie ihr Leben leben, auch wenn es noch so einfach ist.

Morgen werden wir mit Esther und Haiwa eine Runde durch die beiden Dörfer drehen, zu denen der Kindergarten gehört. Wir freuen uns darauf, die Eltern der Kinder und ihr Leben näher kennenzulernen.