Manchmal trifft Jochen oder mich inzwischen die Reisemüdigkeit. Oder vielleicht eher die Afrikamüdigkeit. Oder noch genauer die Menschenmüdigkeit. Reisen ist anstrengend. Vor allem hier in Ostafrika, das so dicht bevölkert ist wie kaum ein anderer Kontinent. Auf Schritt und Tritt trifft man Menschen. Fast egal, wo man anhält, wo man parkt, wo man übernachtet, man ist nie allein. Nach spätestens fünf Minuten – wenn man sich beeilt, reicht es zum Pinkeln – kommen die ersten neugierigen Besucher. Das kann spannend, interessant, lustig, aber auch sehr anstrengend sein. Vor allem dann, wenn man einmal nicht so gut drauf ist oder einfach nach einer langen Fahrstrecke seine Ruhe braucht.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden, die meisten Menschen hier in Afrika sind sehr freundlich, hilfsbereit, neugierig, aufgeschlossen und trotz ihrer Armut fröhlich. Es ist immer wieder herzerfrischend, wenn wir an Menschen vorbeifahren, die unseren Onkel Deutz sehen und bei denen sich nach einem überraschten Blick ein breites Grinsen über das ganze Gesicht ausbreitet. Und dann geht der Daumen hoch: so eine von Herzen kommende Freude sieht man bei uns nur noch selten.
Und trotzdem: Manchmal sehnen wir uns nach einsamer Natur, in der man einfach einmal stehen bleiben kann, um sie zu bewundern. In der man wandern, Fahrrad fahren, klettern kann ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob nicht gleich wieder jemand hinter einem Busch hervorkommt, der einen anstarrt, anspricht oder gar bettelt. Oder Natur, für die man nicht bezahlen muss. So wie das für uns in Europa eigentlich selbstverständlich ist. In solchen Momenten wird einem wieder bewusst, in was für einem Paradies wir leben!
Wir haben inzwischen schon so einige Langzeitreisende getroffen, die auf die gleiche Art wie wir (also mit eigenem Fahrzeug und campend) unterwegs sind, vor allem hier in Kenia. Die meisten davon haben sogar noch viel länger Zeit, haben schon viel mehr erlebt als wir und haben ihr Leben komplett umgestellt. Manchmal sind es junge noch ungebundene Päarchen in den Zwanzigern, sehr, sehr selten Familien, meistens jedoch „ältere“ Paare oder manchmal auch allein reisende Männer, wobei wir immer wieder erstaunt sind, wie jung diese „älteren“ Paare in Wirklichkeit sind – nämlich zwischen Mitte vierzig und Anfang sechzig, also eigentlich noch lange vor dem Rentenalter. Meist handelt es sich um Menschen, die selbständig waren und die eigene Firma zu einem so guten Preis verkaufen konnten, dass es für lange Weltreisen reicht. Viele von ihnen sind bereits seit mehreren Jahren in der Welt unterwegs: Vom Kap Hoorn bis nach Alaska, von Europa bis nach Asien, von Cape to Cairo, … sie haben viel gesehen, mehr gewagt, als wir uns jemals vorstellen könnten, und – viele sind auch sehr überzeugt von sich! Die Gespräche am abendlichen Lagerfeuer drehen sich um erlebte Abenteuer in allen möglichen Teilen der Welt. Jeder weiß eine noch bessere Story zu erzählen. Ja, das ist spannend und interessant. Bewundernswert.
Aber wir merken, dass wir doch anders gepolt sind. Diese Menschen haben oft jegliche sozialen Kontakte zuhause abgebrochen. Viele haben keine Familie oder sich mit dieser verstritten. Sie sind frei, unabhängig, aber leben dadurch doch auch wieder eingeschränkt in ihrer Welt als Langzeitreisende. Sie haben keine oder wenig feste Bindungen mehr, der Wettstreit in erlebten Abenteuern, das (manchmal) ungefragte Weitergeben von irgendwelchen besonderen Tips und das Gestalten einer Webseite mit eigenen Videos sind oft die einzigen neuen Lebensinhalte.
Wir dagegen sind eine Familie und damit schon ein ziemlich exotisches Exemplar von Langzeitreisenden. Wir haben „nur“ ein Jahr, und wir sind zufrieden damit. Wir wollen gar nicht jeden Winkel von Afrika erforschen. Wir sind auch keineswegs enttäuscht, wenn wir nicht jede Gravelroad getestet, jeden Campground beurteilt und in jeder Stadt den günstigsten Supermarkt ausgecheckt und online gestellt haben.
Wir sind immer noch überzeugt, dass wir nach diesem Jahr keinerlei Eingliederungsschwierigkeiten zuhause haben werden. Von Anfang an ist diese Reise keine Flucht aus dem Leben zuhause, kein neuer Lebensabschnitt, kein Neuanfang, sondern vielmehr eine Unterbrechung unseres zu ausgefüllten Alltags, ein „Über-den-Tellerrand-Schauen“, eine intensive Zeit und – ja, ein Abenteuer – das wir gemeinsam als Familie erleben und das uns zusammenschweißt. Wir wollen unseren Horizont erweitern, Neues kennenlernen, mit einer anderen Brille auf uns und unser Leben schauen, unseren Kindern andere Kulturen näherbringen, ja – aber das alles ist vorübergehend. Wir freuen uns nämlich auch sehr auf zuhause und unser „altes“ Leben, das wir ziemlich genauso lieben wie es ist.
Natürlich erhalten wir auf dieser Reise auch viele Impulse, die unser Leben zuhause mehr oder weniger nachhaltig beeinflussen werden, die nachwirken. Meist sind das aber ganz einfache Dinge, wie die Gelassenheit der Afrikaner beim Umgang mit Schwierigkeiten („we cross the bridge when we are there“), das Leben im Augenblick, der Umgang mit der Zeit. Manchmal können es auch ganz praktische Dinge sein, zum Beispiel „Couchsurfing“ anbieten, Wohnmobiltausch ausprobieren oder einfach einmal Fremde ins Haus einladen und über die eigene Gastfreundlichkeit nachdenken.
Auch stehen wir der Berichterstattung in den Medien sehr viel skeptischer gegenüber: Die Horrormeldungen aus Afrika, was die Gewaltrate, Krankheiten, den Terror oder die Armut betreffen, sehen wir mit ganz anderen Augen. Auch hier leben einfach nur Menschen.
Und dann gibt es Veränderungen, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Erlebten stehen, sondern durch die uns zur Verfügung stehende (Mehr-)Zeit, durch Gespräche und Diskussionen in der Familie, durch Lesen und Nachdenken hervorgerufen werden. Genau das war ja auch ein Grund für diese Reise: wir wollten Zeit haben, um uns, unser Leben und unsere Werte zu reflektieren.
Wir haben also keine Pläne für unsere Rückkehr, auch keine definitiven weiteren Reisepläne in den nächsten Jahren. Das heißt nicht, dass wir nicht wieder einmal losziehen werden. Bestimmt werden wir das. Aber wann, wohin und wie – das steht in den Sternen. Und wir brauchen auch gar keine Pläne, denn zunächst freuen wir uns auf unseren Alltag und das Leben mit unseren Freunden und Familien. Wir werden kleinere Brötchen backen und auch das genießen. Da sind wir uns ganz sicher!
Doch zunächst gilt es, diese Reise noch bis zu ihrem Ende zu genießen. Wir haben noch knapp 3 Monate, die werden wir voll und ganz ausnutzen und als Familie genießen. Und da kann es passieren, dass uns Äthiopien zu teuer, der Sudan zu heiß und Ägypten zu anstrengend wird und wir in wenigen Wochen einfach durchfahren, um die Restzeit in Italien zu verbringen. Oder aber wir sind so fasziniert von der neuen arabischen Kultur, dass wir unsere Zeit dort bis zum Schluss ausdehnen. Das ist genau das Spannende an dieser Art zu reisen: Es ist nicht planbar, wir können genauso entscheiden, wie es für uns im Moment passt. Übermorgen werden wir Nairobi verlassen, es wird ca. 3-4 Tage dauern bis wir die äthiopische Grenze erreichen und wir sind sehr gespannt, welche Welt uns dort erwartet!
Sehr schoener „Kommentar“. Und vollkommen nachvollziehbar fuer uns, selbst wenn wir nur 3 Monate als Familie unterwegs waren. Gerade wieder zurueck, und zu Hause ist es auch ziemlich schoen – so wie es ist. Aber man sieht alles irgendwie lockerer und schaetz vieles mehr (ein paar Sachen auch weniger). Wuerde ich so unterschreiben 🙂
Wir wuenschen Euch viel Spass und alles Gute fuer den naechsten Teil der Reise.
Gruss , Jan & family (die Deutsch-Franzosen aus Kisolanza)