Rückblick vom 11.9.2016
Es ist der 11. September und Silas 13. Geburtstag. Wir befinden uns mitten in der Pampa und weit weg von jeglicher Zivilisation, in der man gebührend den Geburtstag eines 13-Jährigen feiern könnte. Als wir aufwachen, stehen schon wieder die ersten neugierigen Dorfbewohner um unseren Onkel, aber es sind fast nur Kinder.
Wie feiert man einen Geburtstag in Äthiopien? Wir tun das so traditionell wie möglich: Wir schmücken unseren Onkel mit Luftballons, es gibt ein leckeres Frühstück mit Geburtstagskuchen, 13 Kerzen und Geburtstagsgeschenken. In letzter Minute konnten wir in Nairobi sogar noch Geschenkpapier auftreiben. Nun ist alles vorbereitet.

Es ist irrsinnig: während draußen die Kinder eines Naturvolkes stehen, die wahrscheinlich so etwas noch nicht einmal im Fernsehen gesehen haben, weil sie weder Strom noch Wasser besitzen, sind wir hier in unserem Onkel in einer ganz anderen Welt – es gibt Geschenke, Brot, Nutella, Honig, … Wir können sie nicht teilhaben lassen, können ihnen nicht erklären, dass Silas einen kleinen Lautsprecher für seinen Laptop bekommt – wie sollten sie das auch verstehen? So stehen sie draußen, während wir drinnen feiern – und können glücklicherweise auch nicht ins Innere des Onkels hineinschauen, weil wir so hoch sind.

Nach dem Frühstück steht uns ein harter Fahrtag bevor. Zum Glück ahnen wir noch nicht, wie hart er werden wird. Wir rechnen noch mit einer guten geteerten Straße, so wie es uns die Straßenkarte und das GPS vorgaukeln. Unser Ziel des heutigen Tages liegt ca. 300 km entfernt am Lake Awassa. Dort sind auf der Karte die ersten Campingplätze im südlichen Äthiopien eingezeichnet, dort scheint es erste touristische Infrastruktur zu geben. Wir hoffen auf einen schönen Platz am See, wo wir noch einen netten Geburtstagsnachmittag/-abend verbringen können.
Halb neun machen wir uns auf den Weg. Die ersten 100 km kommen wir relativ gut voran, die Straße ist niegelnagelneu, allerdings haben sie hier eklige Speedbumps eingebaut, die unsere Geschwindigkeit um mindestens die Hälfte herabsetzen. Wir sind entsetzt: Wie kann man auf so einer schönen Straße alle 500m vier enge parallel verlaufende hohe schmale Hügel bauen, über die man selbst im Schneckentempo herüberhopft, dass es nur so kracht?? Entschuldigung, aber wie blöd kann man eigentlich sein? Naja, Afrika muss man nicht verstehen, dafür lehrt es einen Geduld.
Aber was dann folgt, ist der absolute der Horror: Die neu ausgebaute Straße endet. Einfach so. Stattdessen befinden wir uns auf der alten Straße mit riesigen Schlaglöchern, denen man nicht ausweichen kann. Diese wechselt sich ab mit kurzen (500m) neugeteerten Strecken, die dann ganz abrupt – oft mit einem 30 – 40 cm hohen Absatz – in eine komplett ungeteerte Schotterstraße übergeht. Und das immer im Wechsel. Bei jedem neu geteerten Stück hofft man: „Jetzt haben wir es geschafft! Jetzt ist die Straße wieder gut!“ – Nur um dann wieder enttäuscht zu werden. Ständig befinden sich Kühe, Ziegen, Schafe und Menschen auf der Fahrbahn. Wir kommen mit einem Durchschnitt von 12 km/h voran! Und das über gut 100 km!  Es ist der absolute Wahnsinn und fordert unser Durchhaltevermögen bis zum Äußersten. Ich geselle mich für ein, zwei Stunden zu den Kindern in die Wohnkabine, dort spielen wir Tabu, ich lese Geschichten vor und wir machen uns während der Fahrt ein leckeres Mittagessen – was allerdings wegen des starken Gehoppels und Geschaukels akrobatische Künste von mir abverlangt! Dann dürfen sie noch einen Videofilm auf dem Laptop anschauen. Als der vorbei ist, sind wir immer noch nicht da! Es ist bereits halb sechs …

Zum Glück ist die Landschaft, durch die wir kommen einfach nur traumhaft: Nachdem wir die südliche Wüste verlassen haben, kommen wir durch grünes Hochland, hier wächst und gedeiht es, dass es eine Wucht ist! Überall gibt es schön bestellte Felder, in denen der Weizen bzw. der Mais hochsteht, es gibt Wälder, in denen Holz geschlagen wird, es gibt genug Wasser in den Flüssen, ja, es ist ein Garten Edens!
Außerdem sieht es sehr viel gepflegter aus als in Kenia oder Tansania – es liegt so gut wie kein Müll herum, die Häuser sind oft schön angestrichen und wir haben den Eindruck, dass es den Menschen recht gut geht. Und Menschen gibt es einfach überall! Seitdem wir durch das Hochland fahren, reiht sich ein Dorf ans andere, dazwischen gibt es kaum freie Flächen, und Mensch und Tier läuft auf oder neben der Straße. Doch auch hier sind die Menschen wieder extrem freundlich, sie winken, pfeifen und rufen, wenn sie uns sehen. Die Kinder machen ein Geräusch, das sich wie „Ujujujujui!“ anhört. Ab und zu machen sie auch eine Bettelbewegung, aber viel weniger als wir befürchtet – und von anderen Reisenden gehört – haben. Und noch seltener kommt es vor, dass sich Menschen an die Tür oder an den Fahrradständer vom Onkel Deutz hängen – das aber finden wir sehr, sehr unangenehm!
Jochen muss beim Fahren ständig höllisch aufpassen und alles – samt den Schlaglöchern – im Auge behalten. Und er macht das richtig gut!

Wir fahren und fahren, zum Glück bessert sich die Straße auf den letzten 30 km wieder, so dass wir bei Einbruch der Dunkelheit in Awassa ankommen. Zu alledem ist auch noch äthiopisches Neujahrsfest, das neue Jahr beginnt nach dem julianischen Kalender am 11. September. Wir schreiben übrigens das Jahr 2008 hier.
Die Stadt macht einen quirrligen, netten Eindruck. Laut Reiseführer, GPS und Karte soll es hier mindestens zwei Campingplätze geben. Den ersten finden wir, den gibt es aber nicht mehr! Den zweiten finden wir erst gar nicht! Inzwischen ist es stockdunkel und wir sind gestrandet. Vor einem großen Resort, in das wir nicht hineinfahren können. Netterweise bieten sie uns ein Zimmer an, ist uns aber zu teuer. Was tun?? Und es ist auch noch Silas Geburtstag!! Schließlich dürfen wir vor dem Eingangstor des Resorts stehen bleiben. Immerhin. Es ist sicher – es gibt Nachtwächter hier – und es ist relativ ruhig. Trotzdem nicht das, was wir uns für heute Abend und morgen erhofft haben: wir wollten unbedingt irgendwo ankommen, ein Ort, an dem wir für ein paar Tage bleiben könnten, um uns auszuruhen. Und eine richtige Dusche gibt’s so natürlich auch nicht! Da muss die kalte „Katzendusche“ im Onkel wieder herhalten, immerhin haben wir die! Und trotzdem fließen ein paar Tränen bei den Kindern … so haben sie sich Silas Geburtstag nicht vorgestellt.
Wir machen das Beste daraus, was noch möglich ist: Ich koche die versprochenen Kässpätzle und wir verlängern Silas Geburtstag noch auf den Tag danach!
Sehr spät fallen wir alle todmüde in unsere Betten.