1. Tag: Tomatentag
Wir verlassen Livingstone am Dienstag nach dem Schulunterricht. Am Vormittag können wir sogar noch schnell eine neue Versicherungskarte (Third-Party-Insurance für Onkel Deutz: COMESA-Card, gilt für alle nördlichen Länder) organisieren. Damit sind wir auf jeden Fall beim nächsten Grenzübergang auf der sicheren Seite …
Die Straße ist sehr ordentlich, es gibt nur wenig Schlaglöcher und wir kommen mit einem Durchschnitt von 65 km/h gut voran. Die Orte, an denen wir nun vorbeikommen, geben ein gänzlich anderes Bild ab als alles, was wir bisher gesehen haben. Nichts im Vergleich zu Südafrika. Auch Botswana war nur eine Zwischenstation. Hier ist Afrika. Mittendrin. Die meisten Menschen schlafen in einfachsten Bambushütten, die am Wegesrand stehen. Pro Familie gibt es meist zwei Lehmrundhütten, eine „offene“ Hütte ohne Wände und manchmal noch ein kleines Mini-Steinhäuschen. Das alles steht im Kreis auf einem sandigen, aber sauberen Platz. Die Menschen sitzen auf niedrigen Eimern oder anderen Sitzgelegenheiten davor. Sie sind farbenfroh gekleidet und winken fröhlich, wenn wir vorbeifahren. Weiße gibt es hier keine. Aber das Sonderbarste ist, dass hier alle – wirklich alle! – Tomaten verkaufen! Wo wachsen die denn?, fragen wir uns. Wir haben noch nie eine solche Menge Tomaten gesehen: Jede Familie scheint ihren eigenen Verkaufsstand zu haben und alle reihen sich sauber entlang der Straße. Die Tomaten sind hübsch zu Pyramiden aufgestapelt. Das gleiche Bild wiederholt sich in jedem Ort, durch den wir kommen. Selbst wenn alle, die hier vorbeifahren, Tomaten kaufen würden, wären immer noch eine Menge übrig!
Auf der ganzen Strecke bis Lusaka gibt es genau einen Campingplatz und der kommt nach „unseren“ 300 km Entfernung (die Mindesttagesetappe für Onkel Deutz). Den nehmen wir! Es ist sogar eine Farm, und die Kinder sind ganz begeistert von den Ziegen, Pferden, Hunden und Hühnern. Juli schnappt sich gleich den Farmer und organisiert für sich ein kostenloses Reiten am nächsten Morgen. Nicht schlecht, Juli!

2. Tag: Farmtag – eine Farmersfamilie im Exil
Am Morgen merke ich an, dass ich mir gut einen Ruhetag auf der Farm vorstellen könnte. Wir sind seit gut einer Woche unterwegs, jeden Tag volles Programm und viel Fahrerei. Und ich würde auch sehr gern mal wieder ein bisschen Sport machen. Außerdem stehen uns mindestens noch drei weitere Fahrtage bevor. Die restliche Familie hat nichts (oder wenig) dagegen einzuwenden und so bleiben wir. Juli reitet morgens um 7 Uhr, es gibt Schulunterricht und am Nachmittag macht jeder, was er will. Die Hängematte wird aufgehängt und sogar die Slackline kommt nach 2-monatiger Pause mal wieder zum Einsatz. Jochen, Silas und ich joggen eine Runde und machen zu allem Übermut auch noch Gymnastik. Beim Joggen höre ich zum ersten Mal Kinder „Mzungu“ rufen, das heißt „Weiße“. Hier sind wir etwas Besonderes…
Am Nachmittag gibt es bei uns einen Kaffee und abends kochen die beiden schwarzen angestellten Damen ein leckeres Dinner für nur 50 Kwacha (4 Euro) pro Person. Da sagen wir nicht nein!
Kurz vor dem Einbrechen der Dunkelheit füllt sich plötzlich der Campingplatz (auf dem wir den ganzen Tag allein gewesen sind bis auf ein Päarchen aus Holland). Die Mitglieder der Foot-Put-Ralley übernachten hier. Wir treffen sehr nette interessante Menschen, die als Teilnehmende dieser „Wohlfahrtsralley“ von Kapstadt nach Malawi und wieder zurückfahren. Unterwegs bringen sie bei irgendwelchen Schulen Schuhe für die Kinder dort vorbei.

Bei allen Erfahrungen, die wir hier machen, ist eine immer wieder erstaunlich: eine Farm ist grundsätzlich immer in weißer Hand. Auch hier wieder, mitten in Sambia, wir haben den ganzen Tag nur Schwarze gesehen – kaum sind wir auf einer Farm, sind die Besitzer Weiße. Allerdings stellt sich später heraus, dass die Farm der Familie gar nicht gehört, sondern dass sie diese nur gepachtet haben. Sie sind nämlich eigentlich aus Zimbabwe und wurden 2005 von ihrer eigenen Farm vertrieben durch die politischen Unruhen, die es damals in Zimbabwe gab. Ich bin überrascht, wie ruhig, gelassen und ohne Groll der Farmer von seiner Enteignung erzählt. Mit nichts (nur mit dem eigenen Auto) musste die Familie die Farm verlassen, so wie 80% der Weißen vor 10-15 Jahren. Mugabe fürchtete damals um seine Macht und weil er die Weißen nicht für seine Unterstützer hielt, mussten sie vor den nächsten Wahlen aus dem Land „geekelt“ werden. Heute ist Zimbabwe wirtschaftlich am Boden, hat keine eigene Währung, der Tourismus ist komplett zum Erliegen gekommen und eigentlich funktioniert gar nichts mehr. Doch Mugabe ist immer noch an der Macht. In den Nachbarländern gibt es unheimlich viele Menschen aus Zimbabwe, die dort verzweifelt nach Arbeit suchen.

3. Tag: Streittag
Es gibt einen riesigen Krach aus heiterem Himmel. Zwischen Vater und Tochter, aber ich muss mich auch einmischen. Es zieht uns den ganzen Tag runter. Schlechte Stimmung, alle sind sauer, geknickt, traurig, verletzt. Nicht schön. Und niemand kann weg. Das ist auch nicht immer einfach.
Dazu kommt eine lange Fahrstrecke. Wir müssen durch die Hauptstadt Lusaka und wollen möglichst weit kommen an diesem Tag.
Jochen fährt und schweigt. Die Straße ist teilweise sehr schlecht mit riesigen Schlaglöchern. Wieder Tomaten, aber nicht mehr so viele. Es zieht sich, die 150 km bis Lusaka. In der Hauptstadt selbst ist es laut und voll. Es gibt Stau, aber nicht so schlimm wie befürchtet. Ich beobachte und fotografiere die Menschen am Straßenrand. Für so was ist Stau gar nicht so schlecht. Und die Unterhaltung ist heute sowieso stockend …
Dann sind wir wieder draußen und fahren weiter gen Osten in Richtung Grenzübergang Chipata. Noch 550 km bis zur Grenze Malawi. Wir wollen am kommenden Wochenende (also spätestens in 3 Tagen) in Lilongwe, der Hautstadt Malawis, sein. Dort sind wir verabredet mit dem Manager des Kindergartens von Kumbali Village, das ist ein soziales Projekt, dessen Initiatoren aus unserem Nachbarort Waiblingen-Beinstein kommen und das wir unbedingt besuchen wollen. Unser Plan ist es, dort bis zur Ankunft von Jochens Schwester Gaby am 12.7. mitzuarbeiten. Wir freuen uns unheimlich auf beides!
Aber zurück zu dem heutigen Tag: wir schaffen an diesem Tag wieder unser Minimum von 300 km (trotz Stadtverkehr) und kurz vor Einbruch der Dämmerung finden wir tatsächlich auf den letzten Drücker noch ein ruhiges Stellplätzchen für die Nacht. Wir haben nämlich heute so gar keine Lust auf Gesellschaft ….

Noch ein paar Worte zu Sambia: Wir sind überrascht, wie viele Radfahrer es hier plötzlich gibt. Oder besser gesagt: wir sind überrascht, dass es sie bisher nicht gegeben hat. Schon in Botswana und Südafrika fragte ich mich, warum hier eigentlich alle laufen! In Sambia ist das Rad das am meisten verbreitete Transportmittel. Und zwar Transportmittel im wahrsten Sinne des Wortes: man kann sich nicht vorstellen, wie viel die Menschen hier auf ein Rad packen können, sei es Zuckerrohr (bis zu 2m hoch), Benzinkanister, riesige Kohlesäcke, Brennholz, Familienmitglieder, …

4. Tag: Äpfelchentag
Morgens beim Frühstück dränge ich zur Aussprache und berufe eine Familienrunde ein. Es gibt Tränen, aber danach geht es uns besser.
Dann ein bisschen Schule und kurz nach 10 Uhr sind wir abfahrtsbereit. Heute heißt es wieder, fahren, fahren, fahren, so weit wie es geht. Die Straße führt durch viel hügeliges Gelände, es gibt viel trockenen Wald und immer wieder kleine Hüttenansammlungen am Straßenrand. Überall laufen Menschen.
Kurz vor dem Mittag erreichen wir die große Brücke über den Luangwa-Fluss. Davor gibt es einen großen Korbwarenmarkt. Auch afrikanische kleine Äpfel werden in großen Mengen verkauft. Wir probieren sie und sie schmecken – naja, ziemlich sauer und trocken. Wir kaufen trotzdem eine kleine Tüte. Dabei kommen wir mit den Frauen ins Gespräch. Sie schätzen das Alter unserer Kinder, dann unseres. Es gibt viel zu lachen. Was für fröhliche Menschen! Aber: Wer kauft nur wieder diese Mengen an Äpfel?
Weiter geht´s … die „Great East Road“, wie die Straße hier genannt wird, wurde erst kürzlich von den USA und Europa erneuert und wir brausen über besten Asphalt! Schade ist es nur, als wir irgendwann am Ende der neuen Straße angelangen und wir danach mindestens 20 km über eine harte und staubige Wellblechpiste fahren müssen als Umgehung der Baustelle. Wir schlucken bei jedem entgegenkommenden LKW eine riesige Menge an Staub. Und dann fährt so einer auch noch vor uns her. Die Sicht geht auf Null herunter …
Da wir es nicht mehr bis Chipata schaffen, suche ich einen Campingplatz aus dem Reiseführer heraus: Tikondane Mission. Hört sich nett an: „Musterdorf mit Viehhaltung, Töpferei, Schreinerei, Projektschule, etc“. Als wir dort sind, finden wir nichts dergleichen. Es laufen ein paar zerlumpte Kinder herum und der Campingplatz entpuppt sich als … naja, einfach nichts. Es gibt nur ein paar dunkle Löcher als Toiletten und eine Plastikschüssel mit Wasser als Dusche. Wenn das wenigstens günstig wäre, dann wäre es ja noch ok. Aber wir wollen keine 5 US-Dollar pro Person dafür bezahlen und fahren weiter. Zum Glück gibt es im gleichen Ort ein paar hundert Meter weiter die Golden View Lodge mit hübschen kleinen Chalets. Wir fragen, ob wir hier campen dürfen und wir dürfen. Sogar umsonst. Und es gibt eine kalte Dusche und eine Toilette. This is Africa!